In Deutschland und allgemein in Europa kommt der Strom „aus der Steckdose“. - Diese leicht sarkastische Feststellung wurde in den 1970er Jahren in die Welt gesetzt, als gegen Kernenergie massiv protestiert wurde. In der Tat gab es bereits in den 1970er Jahren Steckdosen und tatsächlich lieferten diese bereits „elektrischen Strom“. Der leichte Anflug von Sarkasmus sei bitte entschuldigt. Die offenbar in der Zeit des „Flower Power“ nutzbare elektrische Energie war nämlich nicht besonders „Blumen freundlich“. In der Regel wurde elektrische Energie in Kohlekraftwerken erzeugt. Kohle war einer der wichtigsten Energieträger der damaligen Zeit, jedoch waren die Abgasnormen bei weitem nicht mit den Heutigen vergleichbar und es gab auch keine Filtertechnologien, wie sie heute selbstverständlich sind. Die Kernenergie änderte dies zumindest bezogen auf den Standort des Kraftwerkes. Kernkraft als solche ist emissionsfrei, wenn man die Brennelementherstellung und deren Entsorgung vernachlässigt, was bisweilen fast regelmäßig getan wurde und wird.

Die bisweilen als selbstverständlich verfügbar angesehenen Energietechnologien sollen als konventionelle Energietechnologien bezeichnet werden. Ohne diese Technologien wäre die Kultur und Zivilisation sowie die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in der Welt nicht denkbar gewesen. Sie sind auch heute noch das Fundament einer modernen Industriegesellschaft. Konventionelle Energieträger sind heute:

  • Kohle (Steinkohle, Braunkohle etc.)

  • Erdöl

  • Erdgas

  • Kernenergie

Grundlage des Wohlstandes

Der Wohlstand der mitteleuropäischen Staaten basiert nicht zuletzt auf ein funktionierendes Energiesystem. Für die Mobilität sorgt ein flächendeckendes Tankstellennetz und jeder Haushalt verfügt über einen Anschluss an das elektrische Stromnetz und viele Haushalte auch über einen Anschluss an das Gasnetz. Noch bis vor wenigen Jahren waren fast ausschließlich fossile oder nukleare Energieträger die Grundlage der Versorgung. Lediglich Wasserkraft war im Energiemix ein Vertreter regenerativer Energien. Neben einigen Flusskraftwerken waren insbesondere die Pumpspeicherkraftwerke eine wichtige Komponente im System, um schnell und kurzzeitig große Lastspitzen abzudecken.

Mit einer gesicherten Verfügbarkeit von Energie konnte sich ein gehobener Lebensstandard etablieren, der heute zur Selbstverständlich geworden ist. In den 50er und 60er Jahren waren Geschirrspülmaschinen eine Rarität und Waschmaschinen teilten sich in größeren Wohnanlagen die Bewohner in so genannten „Waschküchen“. Diese waren nicht nur der Ort, an dem regelmäßig die Wäsche der Familie gewaschen wurde, sondern auch ein sozialer Mittelpunkt. Das maschinelle Reinigen von Geschirr und Wäsche löste jedoch dank sicher verfügbarer elektrischer Energie die mühsame Handarbeit ab und schaffte persönliche Freiräume.

Aber auch in den Haushalten zeigte die sichere Verfügbarkeit elektrischer Energie ihren Einfluss. Das Fernsehgerät erfreute sich rasch großer Beliebtheit und veränderte insgesamt die Sozialstrukturen in den Familien. Selbst banale Dinge wie das Kochen von Kaffee unterlag schnell einem Wandel. Die Zubereitung von Kaffee begann zunächst mit dem Mahlen der Bohnen in einer handbetriebenen Kaffeemühle. Auf einem mit Kohle oder Holz befeuerten Ofen oder – wo vorhanden – mit Gas wurde Wasser zum Kochen gebracht. Mit dem kochenden Wasser wurde langsam durch einen Filter der Kaffee aufgebrüht. Dies war insgesamt eine sehr aufwändige Prozedur, die allmählich durch Kaffeemaschinen vereinfacht wurde.

Heute leben wir in einer Epoche der Flachbildschirme, des Video on Demand, der Videospiele und des Internet. Ohne sichere Verfügbarkeit von elektrischer Energie wäre der heutige Lebensstandard nicht möglich. Dabei muss klar festgestellt werden, dass der Bedarf an Energie – nicht nur in den rasch expandierenden Schwellenländern – massiv steigen wird. Kaufrausch und ein neues digitales Statusdenken kompensieren hierbei sogar die ausgesprochen erfolgreichen Entwicklungen hin zur Energieeffizienz. Der sofortige Verzicht auf konventionelle Energietechnologien würde diesen Lebensstandard auf der Stelle in Frage stellen. Das gilt übrigens auch für den Ausstieg aus der Kernenergie, der selbst mit dem endgültigen Abschalten der Kernkraftwerke in Deutschland nicht vollzogen wird, weil statt dessen weiterhin Kernenergie aus europäischer Erzeugung Teil des Strommixes sein wird.

Energie als Wirtschaftsmotor

Die fossile und später auch die nukleare Energietechnik wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vorwiegend durch den Versorgungsdruck ausgebaut. Heute, nach der Liberalisierung des Strommarktes, dominieren ökonomische Interessen. Energie ist schon immer ein globaler Wirtschaftsfaktor gewesen. Wer die Rohstoffe (Kohle, Öl, Uran) beherrscht, hat Einfluss auf internationale Märkte. Die Verknappung von Ressourcen treibt Preise in die Höhe. Das führt nicht allein zu Mehreinnahmen der Exporteure, sondern auch zu Preissteigerungen in der Industrie, die für Produktion und Transport von Energie abhängig ist.

Sinkende Preise, beispielsweise für Erdöl und Erdgas, können dagegen zu wirtschaftlichen Schieflagen in den exportierenden Staaten führen, andererseits aber – aufgrund günstigerer Produktions- und Transportkosten – einen Wirtschaftsaufschwung in den Abnehmerstaaten auslösen. Nicht zuletzt haben konventionelle Energieträger direkten Einfluss auf die nationale Wirtschaft in den jeweiligen Staaten und innerhalb dieser auf die Regionen. Das Schließen der Uran-Bergwerke, die in weiten Teilen Sachsens und in Thüringen in der DDR-Zeit von der SDAG Wismut betrieben wurden, vernichtete schlagartig tausende von Arbeitsplätzen (und rettete ebenso tausende Menschenleben in künftigen Generationen, da den Bergbau extrem viele Krebs-Krankheitsfälle begleiteten).

Besonders gravierend war das „Zechensterben“ im Ruhrgebiet, was weite Teile Nordrhein-Westfalens, deren Wirtschaft und weite Teile der Arbeitsmarktstrukturen vom Steinkohle-Abbau und von der energieintensiven Schwerindustrie abhängig waren. Ältere Generationen erinnern sich noch an den so genannten „Kohlepfennig“, der mit der Stromrechnung eingezogen wurde und der Gestaltung eines wirtschaftlichen Strukturwandels diente. Sonderabgaben auf der Stromrechnung findet man heute übrigens auch wieder zur Förderung erneuerbarer Energien. Heute ist jedoch der Widerstand bedeutend größer geworden, was mutmaßlich auch auf Lobbyinteressen zurück zu führen ist.

Auch für „Otto-Normalverbraucher“ sind die wirtschaftlichen Auswirkungen spürbar und haben Einfluss auf die Kaufkraft und damit in sehr vielen Fällen auch auf die Möglichkeiten zur Teilnahme am sozialen Miteinander: Im Januar 2016 konnten sich Autofahrer beispielsweise über einen preiswerten Jahresbeginn an den Tankstellen freuen. So kostete der Liter Diesel an einer Tankstelle in Berlin Mariendorf am 18. Januar gerade einmal 0,899 Euro-Cent. Noch im November 2013 mussten Autofahrer an den Zapfsäulen ca. 1,40 Euro pro Liter Diesel kalkulieren. Die Preise für Benzin lagen einige Cent über diesen Werten. Die tendenzielle Preisentwicklung ist jedoch vergleichbar. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:

Es sei angenommen, ein Autofahrer tanke einmal pro Woche 45 Liter Diesel. Im November 2013 musste er pro Monat Kosten in Höhe von 252 Euro kalkulieren. Im Januar 2016, der Preis ist um rund 50 Euro-Cent gefallen und es kostet die gesamte monatliche Tankrechnung nur noch 162 Euro. Die Ersparnis ist erheblich: rund 90 Euro!

Die Kaufkraft der Menschen hat sowohl auf das Leben im sozialen Kontext als auch auf die Binnenwirtschaft einen signifikanten Einfluss. Energiepreise schlagen sich in den Preisen für Produkte nahezu aller Art, an der Tankstelle und auf der Stromrechnung nieder. Theoretisch gilt dies auch für Kosten für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, jedoch ist hier selten ein Preisrückgang zu erkennen, auch dann nicht, wenn Energiepreise fallen.

Energie als politisches „Werkzeug“

Konventionelle Energieträger haben, wie bereits gelesen, eine überragende Bedeutung in der Welt als Wirtschaftsmotor. Sie sind aber auch „Werkzeuge“ zur politischen Einflussnahme. Man betrachte die Situation zwischen Russland, der Ukraine und Europa. Russland ist für Europa und auch für die Ukraine ein wichtiger Erdgas-Lieferant. Durch Einschränkungen in den Gaslieferungen ist Russland in der Lage, die Stimmung in der Ukraine zu polarisieren. Da aber auch Europa ein großer Abnehmer von russischem Erdgas ist und in 2015 aufgrund der Ukraine-Krise die Beziehungen deutlich abgekühlt sind, würde eine Erdgas-Abhängigkeit von Russland zu einem Damokles-Schwert in der Energieversorgung führen. In der Tat ist der Anteil des importierten Erdgases aus Russland in Europa sehr hoch, aber Russland ist nicht der einzige Lieferant, was das Risiko der Abhängigkeit letztlich relativiert. Für Länder wie die Ukraine gilt dies jedoch nicht.

Fälle dieser Art zeigen die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit zu importierender Energieträger. Ein spektakuläres Beispiel war die „Ölkrise“ Anfang der 1970er Jahre, als es Fahrverbote für private Autos an Sonntagen gab. In Deutschland, wo der Uran- und Steinkohlebergbau eingestellt wurde und der Braunkohletagebau sehr umstritten (aber noch immer im großen Stil aktiv) ist zeigt sich dieses Problem ganz besonders deutlich. Deutschland muss Energie importieren und sich damit zumindest von den Regeln des Weltmarktes abhängig machen.

Autarkie versus konventionelle Energie

Regenerative Energieträger sind nicht von fremden Einflüssen abhängig. Sie ermöglichen eine – weitgehende – Autarkie! Es mag spekulativ sein, doch was wäre, wenn von heute auf morgen weltweit der Energiebedarf ausschließlich aus regenerativen Quellen gedeckt werden könnte? Was wäre, wenn Energie für jeden Konsumenten kostenlos und emissionsfrei verfügbar wäre, was, wenn die damit verbundenen Milliardenumsätze und Steuereinnahmen fehlen würden? Was wäre, wenn Energie nicht mehr über den Wohlstand einer Industriegesellschaft oder über die Unterdrückung von Ureinwohnern – vor allem in Afrika und Mittelamerika – entscheiden würde?

Die Energiesystemtransformation – weitläufig als „Energiewende“ bezeichnet – wird sehr vieles verändern. Sie wird jedoch nicht nur Einfluss auf die Art der nutzbaren Energiegewinnung nehmen, sondern weltweit die Wirtschafts- und Sozialsysteme beeinflussen. Diese Zusammenhänge, die Teil unser aller Gesellschaft und Zivilisation sind, lassen sich nicht im Handstreich verändern. Es braucht eine Übergangsphase, die Jahrzehnte, wenn nicht sogar Generationen dauern wird. Es braucht ein Umdenken in den Köpfen der Mächtigen und es braucht Konzepte, um ein heute gängiges „Gewinner-Verlierer-Szenario“ zu vermeiden.

Bis dahin wird es zwangsweise, noch über Jahre hinweg, konventionelle Energietechnologien – einschließlich der Kernenergie – geben! Das Ziel muss aber sein, Schritt für Schritt auf regenerative Energie und auf eine autarke Versorgung zu setzen und das auch mit der Gewissheit, dass verschiedene Märkte am Ende obsolet werden, die heute noch eine stabile Stütze der Weltwirtschaft sind. Sie werden durch neue ökonomische Strukturen – beispielsweise für die Lieferung von Batterie-Rohstoffen wie Lithium – abgelöst werden. Es ist keine einfache Aufgabe, obgleich die technischen Lösungen greifbar sind. Aus diesem Grund gehört zu einer seriösen Diskussion über die Energietechnik stets auch das Verständnis der konventionellen Energieträger und der damit verbundenen Rahmenbedingungen. Dies muss im globalen Kontext betrachtet werden!

(rs/01-2016)